Dienstag, 15. März 2016

Das hörende Herz

Am vergangenen Wochenende hatte ich das große Privileg an einem ganz besonderen Seminar teilnehmen zu können:

"Das hörende Herz"

Gott spricht auf vielerlei Weise zu einem jeden Menschen. Nicht neben oder über dem Alltag, sondern inmitten des alltäglichen Geschehens können wir lernen, Gott zu „erhören“. Das Seminar sollte Anstöße geben, das eigene Leben als hörende und wachsame Menschen zu deuten und zu gestalten.
Zu Vorträgen, Erfahrungsaustausch, Übungen und Zeiten der Stille vor Gott – haben Martin Schleske (Geigenbaumeister) und Siegfried Zimmer (Prof. für Ev. Theologie und Rel.-päd.) die Teilnehmer eingeladen. Das ganze fand in der Benediktinerabtei Münsterschwarzach statt und hatte durch diesen spirituellen Kraftort einen passenden Rahmen. Zusammen Karin, meiner Partnerin in einer geistlichen Zweierschaft, durfte ich nicht nur tiefe, gute Impulse empfangen, sondern durch die persönliche Begegnung mit den beiden Referenten bereichert werden.

Ich möchte in den nächsten Tagen darüber schreiben, um das Erlebte in mir nachklingen zu lassen und das Gehörte nach-zu-denken. Ich beginne mit einem Gedicht von Nelly Sachs, welches in Auszügen einleitend von Siegfried Zimmer vorgetragen und interpretiert wurde:

Wenn die Propheten einbrächen
durch Türen der Nacht
mit ihren Worten Wunden reißend
in die Felder der Gewohnheit,
ein weit Entlegenes hereinholend
für den Tagelöhner
der längst nicht mehr wartet am Abend -

Wenn die Propheten einbrächen
durch Türen der Nacht
und ein Ohr wie eine Heimat suchten -

Ohr der Menschheit
du nesselverwachsenes,
würdest du hören?

Wenn die Stimme der Propheten
auf dem Flötengebein der ermordeten Kinder
blasen würde,
die vom Märtyrerschrei verbrannten Lüfte
ausatmete -
wenn sie eine Brücke aus verendeten Greisenseufzern
baute -

Ohr der Menschheit
du mit dem kleinen Lauschen beschäftigtes,
würdest du hören?

Wenn die Propheten
mit den Sturmschwingen der Ewigkeit hineinführen
wenn sie aufbrächen deinen Gehörgang mit den Worten:
Wer von euch will Krieg führen gegen ein Geheimnis
wer will den Sterntod erfinden?

Wenn die Propheten aufständen
in der Nacht der Menschheit
wie Liebende, die das Herz des Geliebten suchen,
Nacht der Menschheit
würdest du ein Herz zu vergeben haben?

Nelly Sachs, bedient sich des imaginären Konjunktivs und fordert ihre Leserschaft damit auf, es sich einmal vorzustellen, dass jemand in Gewohnheiten einbricht, mit Worten Wunden reißt und Wahrnehmungsmuster in Frage stellt. Was würde passieren? Was ändert sich? Propheten wurden nicht eingeladen. Sie haben ungefragt ihre Meinung kundgetan und ihre Botschaft verkündet. Sie suchen nach Menschen, die hören wollen. Bin ich so ein Mensch? Lasse ich zu, dass Gott meinen Gehörgang aufbricht und in mein Leben hineinspricht?

Für mich selbst kann ich aufrichtig mit Ja antworten. Deshalb bin ich nicht nur zu diesem Seminar gefahren, sondern die Sehnsucht Gott zu hören, ihn zu erleben und etwas von der Wirklichkeit hinter der sichtbaren Realität zu erspüren, ist wie ein Ziehen in meiner Brust.